10. Diskussionsforum Ökosystemleistungen - Krise der biologischen Vielfalt

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Zur Krise der biologischen Vielfalt:

Was können wir in Deutschland von den internationalen Erkenntnissen des Weltbiodiversitätsrates lernen?

 

10. Diskussionsforum Ökosystemleistungen

9. Oktober 2018, Berlin

Am Abend des 9. Oktober 2018 kamen rund 50 Interessierte zum 10. Diskussionsforum Ökosystemleistungen, um in Berlin die neuesten Berichte des Weltbiodiversitätsrats (IPBES -Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services/Zwischenstaatliche Plattform zu Biodiversität und Ökosystemdienstleistungen) zu diskutieren und gemeinsam nach Wegen zu suchen, wie die dort zusammengefassten Erkenntnisse möglichst umfassend verbreitet und genutzt werden können. Impulsreferate gab es von Prof. Dr. Aletta Bonn (Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ/Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig), Dr. Elsa Nickel (Abteilungsleiterin Naturschutz und nachhaltige Naturnutzung, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU)), Dr. Katrin Reuter ('Biodiversity in Good Company‘ Initiative) und Dr. Kristina Raab (Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ). Moderiert wurde der Abend von Ulrich Stöcker (Abteilungsleiter Naturschutz, Deutsche Umwelthilfe e.V.). Weitere Kooperationspartner waren an diesem Abend das Netzwerk-Forum zur Biodiversitätsforschung Deutschland (NeFo) und die Gesellschaft für Ökologie e.V. (GfÖ).

Die Botschaften des Weltbiodiversitätsrates IPBES im Regionalen IPBES-Bericht zu Biodiversität und Ökosystemleistungen in Europa und Zentralasien und der Bericht zur Landdegradation und ‑wiederherstellung, die im Frühjahr veröffentlicht wurden, lesen sich ähnlich alarmierend wie der aktuelle IPCC-Bericht (Intergovernmental Panel on Climate Change): Die Hälfte der regulierenden und einiger immaterieller Ökosystemleistungen in Europa und Zentralasien seien zwischen 1960 und 2016 verloren gegangen, so der Bericht zu Biodiversität und Ökosystemleistungen in Europa und Zentralasien. Ein Viertel der landwirtschaftlichen Flächen in der EU ist von Bodenerosion und zurückgehender Fruchtbarkeit betroffen. Die Wasserverfügbarkeit pro Kopf ist seit 1990 um 15% gesunken. 27% der Arten- und 66% der Lebensraumtypen weisen einen "ungünstigen Erhaltungszustand" auf, während der Rest als "unbekannt" gilt. Im Wasser ergibt sich ein ähnliches Bild: Nur 7% der marinen Arten und 9% der marinen Lebensraumtypen in der Europäischen Union befinden sich in einem "günstigen Erhaltungszustand". Dies wird auch oft als Great Acceleration bezeichnet.

An Produktionsmengen gebundene Subventionen in Land- und Forstwirtschaft und im Bergbau fördern Intensität und räumliche Ausdehnung von schädlichen Produktionsmethoden. Habitatverschlechterung, invasive, gebietsfremde Arten, nicht-nachhaltige Fischerei, Eutrophierung und der Klimawandel spielen ebenfalls eine große Rolle beim Rückgang der Biodiversität. Materielle Leistungen der Natur wie Nahrung und Energie werden auf Kosten von regulierenden Leistungen wie zum Beispiel biologische Schädlingskontrolle und Speicherung von Kohlenstoff gefördert und ausgebeutet. Die Bedeutung des Klimawandels für den Rückgang der Biodiversität nimmt stark zu und dürfte künftig an erster Stelle der Ursachen für den Verlust von Lebensräumen, Arten und genetischer Vielfalt stehen, mahnen die Autoren.

Das gesammelte Wissen des Weltbiodiversitätsrates IPBES bildet eine gute Grundlage, damit der Wert der biologischen Vielfalt in politischen, administrativen und unternehmerischen Entscheidungen in Deutschland stärker berücksichtigt werden kann. Wie erreicht man aber diese Entscheidungsträgerinnen und ‑träger? Das diskutierten die Gäste des 10. Diskussionsforums Ökosystemleistungen am 9. Oktober 2018 in Berlin.

Nach einer kurzen Begrüßung durch Sascha Müller-Kraenner (Bundesgeschäftsführer, Deutsche Umwelthilfe e.V.) erläuterte Dr. Stefan Hotes (Universität Marburg / Gesellschaft für Ökologie e.V. (GfÖ)) die Rolle der GfÖ im IPBES-Prozess: Die GfÖ vertritt wissenschaftlich und angewandt arbeitende ÖkologInnen vor allem aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Der Verband ist als Beobachter bei der zwischenstaatlichen Plattform akkreditiert. Das ermöglicht die Teilnahme an den Vollversammlungen und die Unterstützung der internationalen Zusammenarbeit von staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren. Während der Aufbauphase von IPBES war es eine wichtige Aufgabe Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler über Möglichkeiten zur Mitarbeit an den IPBES-Assessments zu informieren. Nun steht die Verbreitung und zielgruppengerechte Aufbereitung der Berichte an, wozu die GfÖ in Zukunft weiter beitragen wird.

Dr. Katrin Reuter stellte die Entwicklung der 'Biodiversity in Good Company` Initiative von einem Projekt des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) hin zu einem eigenständigen, gemeinnützigen Verein dar, der u.a. als Koordinierungsstelle des Projekts „Unternehmen Biologische Vielfalt 2020“ (UBi 2020) fungiert.

Im ersten Impulsreferat stellte Prof. Dr. Aletta Bonn (UFZ/iDiv) die Struktur des Weltbiodiversitätsrats in ihren Grundzügen vor und fasste die wichtigsten Ergebnisse aus zwei aktuellen IPBES-Berichten zusammen: IPBES ist ein unabhängiges, zwischenstaatliches Gremium der Vereinten Nationen mit 126 Mitgliedsstaaten, das nach dem Vorbild des Weltklimarats IPCC entworfen wurde. Ein wichtiger Teil des konzeptionellen Rahmens von IPBES ist die Integration unterschiedlicher Weltbilder: es werden bewusst verschiedene Begriffe für dieselben Themen verwendet, um den jeweiligen Hintergründen gerecht zu werden. Ein prominentes Beispiel sind die Begriffe ‚ecosystem services‘ und ‚nature’s contributions to people‘, die beide dieselben Zusammenhänge zwischen ökologischen Prozessen und menschlichem Wohlergehen beschreiben, aber in unterschiedlichen Kontexten genutzt werden. Entgegen der Darstellung in dem in Nature erschienenen Artikel und Editorial im August herrscht Einigkeit darüber, dass es um dasselbe Ziel geht – den Schutz der Biodiversität und der Ökosysteme zum Wohle der Menschen und der Natur.

Bereits jetzt werden gravierende Biodiversitätsverluste verzeichnet und haben starke Auswirkungen auf unser aller Wohlergehen. Aktuell spüren schon 3.2 Milliarden Menschen die negativen Auswirkungen der Landdegradation, das ist fast die Hälfte der Menschheit. 50% der regulierenden Ökosystemleistungen sind bereits jetzt beeinträchtigt, was zu Erosion, schlechterer Wasserqualität, abnehmender Bodenqualität, etc. führt.

Die Bewohner von Industriestaaten und gerade auch Europäer und Deutsche haben einen doppelt so großen ökologischen Fußabdruck wie ihn Ökosysteme langfristig verkraften können. Ein wichtiger Grund hierfür sind individuelle Konsummuster im Zusammenhang mit globalen Lieferketten – die Konsumenten sehen schlicht nicht, welche Folgen ihre Kaufentscheidungen in den Herkunftsländern haben. Deutschland hat also eine große Verantwortung - sowohl innerhalb des Landes, aber auch global.

Einer der größten direkten Treiber des Biodiversitätsverlustes ist der Agrarsektor und damit eine intensive Landnutzung. Zusammen mit weiteren direkten Treibern wie dem Klimawandel, invasiven Arten, Verschmutzung und Ausbeutung natürlicher Ressourcen gibt es hierzu bereits viele Studien und Erkenntnisse. Was bisher noch zu wenig erforscht ist, ist das Zusammenspiel der verschiedenen Faktoren. Hier muss die Wissenschaft in Zukunft mehr tun, um die indirekten Treiber aufzudecken und zu quantifizieren.

Fester Bestandteil der IPBES-Berichte sind jeweils Szenarien zu verschiedenen politischen Entscheidungen: business-as-usual darf keine Option sein, denn das würde bedeuten, dass bereits 2050 mit 10-50% geringeren Ernteerträgen zu rechnen wäre. Die Kosten durch Landdegradierung betragen bereits heute ca. 10% des globalen Bruttosozialprodukts. Dem gegenüber steht der enorme Nutzen, den heutige Investitionen in Natur- und Umweltschutz haben, und zwar Nutzen mit dem zehnfachen Wert. Würde sich der negative Trend der Ökosystemleistungen weiter fortsetzen, so werden 2015 ca. 4 Mrd. Menschen in Trockengebieten leben. Auch auf Grund der Folgen des Klimawandels werden 50 - 700 Millionen Menschen gezwungen sein, ihre Heimat zu verlassen. 15% der Menschen in Zentralasien haben bereits heute keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser.

Ulrich Stöcker nutzte danach die Gelegenheit, um Dr. Elsa Nickel für die langjährige gute Zusammenarbeit zu danken. Dr. Nickel geht Ende des Jahres in Ruhestand.

Im zweiten Impulsreferat betonte Dr. Elsa Nickel, dass die Existenz von IPBES eine Erfolgsgeschichte an sich ist. Das Bundesumweltministerium ist stolz darauf, 2012 bei der Gründung von IPBES mitgeholfen und das IPBES-Sekretariat nach Deutschland geholt zu haben. Deutschland ist dessen größter Beitragszahler mit 1.5 Mio. Euro von 8 Mio. Euro, wozu nochmals ein sechsstelliger Betrag für die Koordinierungsstelle kommt sowie weitere Kosten für die Berichte. Auch Frankreich war von Anfang an sehr engagiert, und zusammen unterstützen beide Länder dieses wichtige Projekt.

Dr. Nickel unterstrich, dass die IPBES-Berichte ausschließlich faktenbasiert sind, und die Aussagen nicht politisch „korrigiert“ wurden. Die IPBES-Berichte enthalten ausdrücklich keine Empfehlungen, sondern sind neutrale, wissenschaftliche Expertenberichte. Als solche sollen sie Verhandlungsgrundlage und Argumentationshilfe für politische und unternehmerische Entscheidungen sein.

Ein Vergleich mit dem IPCC bietet sich nicht zuletzt wegen des am Tag zuvor erschienenen Special Report on Global Warming des IPCC an: Die Szenarien für 1.5°C und 2°C Erwärmung sind bedrückend, doch im Vergleich der planetaren Grenzen nach Rockström et al. (2009) steht das Klima tatsächlich erst an dritter Stelle der bereits überschrittenen planetaren Grenzen. Die Belastbarkeit der Biodiversität wird bereits vielfach überschritten, und auch die Stoffflüsse von Phosphor und Stickstoff sind deutlich außerhalb sicherer Bereiche.

Grundsätzlich gilt: Wir wissen genug! Wir müssen nun vom Wissen zum Handeln kommen, wobei die Bundesregierung immer nur das umsetzen kann, was im Konsens mit allen Resorts beschlossen wird. In der Koalitionsvereinbarung der laufenden Legislaturperiode sind so viele Biodiversitätsthemen enthalten, wie noch nie zuvor: der Ausstieg aus Glyphosat in dieser Legislaturperiode, die Steigerung des Anteils von Ökolandbau auf 20%, die Insektenschutzstrategie, eine Ackerbaustrategie, eine Moorschutzstrategie, Bekämpfung der Wilderei national und international, das Blaue Band, also die Renaturierung von Flüssen, das Thema Wildnis mit einem Wildnisfonds, und einiges mehr.

Ganz besonders wichtig ist die Gemeinsame Agrarpolitik der EU (GAP). Schon der erste IPBES-Bericht zum Thema Bestäubung (2016) hatte gezeigt, dass es gerade in Europa und Nordamerika massive Verluste in der Diversität der Bestäuber und bei der Bestäubungsleistung gibt. Dabei werden die intensive Landnutzung und die Anwendung von Pestiziden als Hauptfaktoren für den Bestäuberrückgang und den Verlust von Biodiversität insgesamt benannt. Da Landwirtschaft der Sektor ist, in den der Großteil der EU-Mittel fließt, ist es besonders wichtig, hier etwas zu ändern, und zwar rechtzeitig zur nächsten Finanzierungsrunde ab 2021, denn danach ist die GAP für die nächsten 7 Jahre festgelegt.

Auch der nächste Strategische Plan der Convention on Biological Diversity (CBD) von 2021 bis 2030 steht bereits zur Diskussion, wobei absehbar ist dass nur die wenigsten der bestehenden Aichi-Ziele bis 2020 vollständig erreicht werden. Eigentlich hatten sich alle 126 Mitgliedsstaaten beispielsweise verpflichtet, bis 2020 alle schädlichen Subventionen zu beenden, die Zerstörung natürlicher Habitate zu stoppen, sowie landwirtschaftliche Flächen, Wald und Forst nur noch nachhaltig zu nutzen. Keines dieser Ziele wird erreicht. Eines der wenigen in Europa erreichten Ziele ist der Schutz von mindestens 17% der Landfläche und Süßgewässer, und 10% der Küsten- und marinen Gebiete. Bevor die neue CBD-Strategie beschlossen wird, muss herausgefunden werden, warum die Aichi-Ziele nicht erreicht wurden, obwohl alle Mitgliedstaaten zugestimmt hatten. Ein Grund ist sicherlich, dass die Ziele weder terminiert noch verpflichtend waren. Daher diskutieren die EU-Mitgliedstaaten, in Zukunft SMARTe Ziele (Specific Measurable Achievable Realistic Time-bound) mit Milestones zu definieren, die nicht unter das Ambitionsniveau der Aichi-Ziele zurückfallen sollen. Dazu finden aktuell viele Workshops mit relevanten Akteuren statt, in die IPBES-Erkenntnisse mit einfließen. Es sollen nicht unbedingt neue Ziele formuliert werden, doch die Ziele sollen sich an den SDGs (Sustainable Development Goals) orientieren und müssen mit diesen kongruent sein.

Mit den IKI-Projekten (Internationale Klimaschutzinitiative), die fortgeführt werden, oder der Bonn Challenge zur Aufforstung von Wäldern beispielsweise, unterstützt Deutschland die Erfüllung der Aichi-Ziele international. Die forcierte Umsetzung der Nationalen Biodiversitätsstrategie soll die Ziele national erreichen helfen.

Insgesamt muss das sogenannte Mainstreaming, also die dauerhafte Einbeziehung verschiedener gesellschaftlicher Akteure, noch umfangreicher werden. Ähnlich den Strukturen beim IPCC der NDC (national determined contributions) brauchen wir auch mehr freiwillige Verpflichtungen von Unternehmen und aller gesellschaftlicher Gruppen, zu SMARTen und damit messbaren Zielen. Dafür ist es wichtig, Biodiversität und Ökosystemleistungen bzw. ‚nature’s contributions to people‘ immer wieder anzusprechen, um die IPBES-Berichte und die Fakten darin im öffentlichen Bewusstsein zu verankern.

Im dritten Impulsvortrag berichtete Dr. Kristina Raab von der Arbeit des Projekts INTERNAS zur wissenschaftlichen Übertragung der Ergebnisse von INTERnationalen ASsessments im Bereich Erde und Umwelt in den deutschen Politikkontext, das vom UFZ zusammen mit dem AWI getragen wird. Das Ziel des Projekts ist die Entwicklung und Optimierung eines Prozesses um die Erkenntnisse aus wissenschaftlichen Berichten für deren Nutzer*innen in Deutschland (z.B. Politiker*innen und deren Mitarbeiter*innen) aufzubereiten und damit zugänglich zu machen. Diese Übertragung soll auch die Umsetzung der SDGs und anderer global vereinbarter Ziele unterstützen.

Ein wichtiger Teil der INTERNAS-Arbeit ist die Erstellung von Ontologien, also Wissenskarten, welche u. a. die Definitionen von Begriffen in verschiedenen regionalen, sprachlichen und kulturellen Kontexten verdeutlichen können, z.B. die Bedeutung von „Wald“ in Indonesien oder Deutschland in messbaren Werten.

Der erste INTERNAS-Workshop fand im Mai 2018 statt und beschäftigte sich mit dem Thema Mainstreaming aus dem Regionalen Bericht zu Biodiversität und Ökosystemleistungen in Europa und Zentralasien von IPBES. Mit den Teilnehmer*innen wurde ein erster Entwurf einer Ontologie zu zentralen Begriffen erarbeitet. Dabei wurde von den Teilnehmer*innen die Einteilung in Sektoren (z.B. Landwirtschaft, Energie, Gesundheit, Industrie, Transport) im Assessment als kontraproduktiv bewertet. INTERNAS sammelte Stellungnahmen zum Mainstreaming von verschiedenen Akteuren in Deutschland und identifizierte Möglichkeitsfenster für Handlungen. Im zweiten INTERAS-Workshop im November 2018 werden mit den Teilnehmer*innen Handlungsoptionen besprochen und diskutiert, welche Maßnahmen in Deutschland leichter, und welche schwerer umzusetzen sind.

Plattformen wie INTERNAS, NeFo und die IPBES-Koordinierungsstelle werden von anderen IPBES-Akteuren als sehr nützlich angesehen. In 2019 wird es einen zweiten INTERNAS-Prozess zum Anfang 2019 erscheinenden globalen Assessment zu Biodiversität und Ökosystemleistungen von IPBES geben (Schwerpunkt marine Themen um auf AWIs Kompetenzen aufzubauen) mit zwei Stakeholder Workshops und dem Ziel Handlungsoptionen zu entwickeln.

Im vierten Impulsvortrag stellte Dr. Katrin Reuter eine der Kernfragen zu den IPBES-Berichten: (Wie) erreicht IPBES Akteure der Wirtschaft? Die Initiative 'Biodiversity in Good Company‘ arbeitet an der Schnittstelle Wirtschaft und Biodiversität und informiert ihre Mitglieder u.a. über politische Prozesse und wissenschaftliche Entwicklungen im Biodiversitätsbereich. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass bereits einige Schnittstellen und Netzwerke wie der Austausch mit NeFo, Diskussionsforen oder Newsletter existieren, und auch die Mitgliedsunternehmen sehr interessiert am Thema sind – jedoch IPBES weiterhin sehr abstrakt für diese Zielgruppe ist. Es sei aber auch fraglich, ob Wirtschaftsakteure IPBES im Detail kennen müssten; die Gründung von IPBES sei ein wichtiges politisches Signal gewesen und nun sei es wichtig, dass die Ergebnisse ihren Weg in politische Entscheidungsprozesse finden. Wenn IPBES den Anspruch hätte, mit seinen Ergebnissen in größerem Umfang auch direkt die Wirtschaft zu sensibilisieren, müsste stärker in zielgruppengerechte Stakeholder-Einbindung und Öffentlichkeitsarbeit investiert werden. Ihre Erfahrung mit der Verbändeplattform „Unternehmen Biologische Vielfalt 2020“ zeigt, dass Verbänden häufig nicht bewusst ist, welche Bezüge sie zum Thema Biodiversität haben. Hier bedürfe es weiterer Sensibilisierung. Zunächst einmal handelt es sich bei IPBES vor allem um eine Wissenschaft-Politik-Schnittstelle. Direkte Hauptzielgruppe sind die Regierungen. Wenn die Ergebnisse politikrelevant werden, werden sie jedoch früher oder später auch für die Wirtschaft relevant.

Die anschließende Diskussion drehte sich u.a. um folgende Themen:

  • Ein sehr wichtiger Hinweis: es ist wichtig, auch die Finanzwirtschaft (u.a. Hedgefonds, Versicherungen, Investmentbanken) einzubeziehen, damit Biodiversitätsschutz Erfolg haben kann. Obwohl auch in Vorträgen beim World Economic Forum Abbildungen mit Risiken durch Verluste von Biodiversität und Ökosystemleistungen für verschiedene Länder gezeigt wurden (3 der Top-5-Risiken hatten mit Natur zu tun), spielen diese Themen in der Finanzwirtschaft noch keine Rolle. Bisher gibt es z.B. keinerlei relevante Indizes für Investoren, die in Aktien und Unternehmensanleihen investieren.
  • Generell müssen alle Sektoren an einem Strang ziehen. Die nächste GAP wird 2019 beschlossen und legt die Subventionen für die folgenden 7 Jahre fest. Laut der bisherigen Pläne sollen die Mittel für Vertragsnaturschutz sogar gestrichen werden. Von Agrarseite kam in diesem Zusammenhang oft die Forderung nach wissensbasierter Evidenz, vorher wolle man sich nicht bewegen. Eine iDiv/UFZ-Studie hat die wissenschaftlichen Grundlagen für die Effekte der bisherige GAP-Strategie mit 600 Quellen ausgewertet. Diese wissenschaftliche Studie ist jedoch bisher in der GAP Novellierung nicht berücksichtigt worden.
  • Bisher fehlt bei vielen gesellschaftlichen Gruppen noch das Problembewusstsein bei den Themen Biodiversitätsverluste und Rückgang von Ökosystemleistungen. In der Agrochemie werden sinkende Pestizidmengen z.B. als Bedrohung gesehen. Wie können wir erreichen, dass auch in diesem Sektor die Forderung nach deutlich eingeschränktem Pestizideinsatz als Chance gesehen wird? Generell müssen Menschen ein Verständnis dafür entwickeln, was mit der Biodiversität passiert und was jeder einzelne zu deren Schutz beitragen kann. Dabei können Kunst und ein emotionaler Zugang als Brückenbauer dienen, um die individuelle und gesellschaftliche kognitive Dissonanz zu überwinden.

Die Krefeld-Studie zum Rückgang der Insektenpopulationen hatte im Sommer 2017 ein window of opportunity getroffen: plötzlich redete jeder über das Insektensterben und das Thema bekam weltweit enorme Aufmerksamkeit. Daraufhin haben verschiedene Organisationen weitere Programme aufgelegt. So z.B.  hat der NABU nun nach der Stunde der Wintervögel und der Stunde der Gartenvögel auch den Insektensommer eingeführt und ist dank der Aufmerksamkeit für die Krefeld-Studie damit erfolgreich. Bei der Vermittlung des Themas war und ist die Honigbiene als verbindendes Element nützlich – auch wenn sie als Nutztier stark reguliert werden kann. Ziel muss sein, auch Privatpersonen zu vermitteln, was im eigenen Handeln verändert werden kann, z.B. Verzicht auf die „normale“ Gartenpflege, die oft viel zu intensiv ist (wöchentliches Rasenmähen, Einsatz von Pestiziden und Dünger, etc.).

Für bestimmte Umweltprobleme gibt es aber auch in der Öffentlichkeit inzwischen ein Bewusstsein, wie z.B. aktuell für das Thema Plastikmüll im Meer.

  • Selbst das Auswärtige Amt hat mit dem Thema des Abends zu tun: z.B. Palmöl und die die Abhängigkeit von der Produktion in fernen Ländern – es ist durchaus relevant für die nationale Sicherheit Deutschlands, wenn in Indonesien die Böden degradieren.
  • Auch nachhaltig wirtschaftende Betriebe können gute Gewinne erwirtschaften – allerdings müssten sie dazu vom Ziel der Gewinnmaximierung abrücken.
  • Es gibt bereits einige Schnittstellen und Multiplikatoren für die Themen Biodiversität und Ökosystemleistungen, wie 'Biodiversity in Good Company‘ und die Verbändeplattform UBi 2020. Mit einem Wettbewerb zu biologischer Vielfalt im Lieferkettenmanagement, den 'Biodiversity in Good Company‘ zusammen mit dem BMU und dem NABU unter dem Dach von UBi 2020 ausgelobt hat, soll Multiplikator*innen die Möglichkeit gegeben werden, das Thema biologische Vielfalt positiv zu kommunizieren. Trotzdem werden noch deutlich mehr Multiplikatoren gebraucht.
  • In der Politikwissenschaft gibt es bereits jahrzehntelange Erfahrung und Forschung zu Erfolgsfaktoren bei der Umsetzung von Projekten. Eines der Ergebnisse: es ist viel einfacher, wenn innerhalb der Unternehmen solche Themen kommuniziert werden, es dort also „Bannerträger“ gibt, die die Umsetzung solcher Ideen unterstützen und vorantreiben. In Bezug auf Handlungsoptionen kann man auch auf den Naturkapital Deutschland Synthesebericht und den internationalen TEEB-Berichten (The Economics of Ecosystems and Biodiversity) aufbauen.
  • Ein weiteres wichtiges Mainstreaming-Mittel wäre die Entwicklung von Lernmaterialien zum Thema Biodiversität, was bisher noch nicht für die IPBES-Berichte umgesetzt wurde. Selbst in Hochschulen und Institutionen fehlen Materialien zu IPBES, und gerade internationale Studenten bemerken dieses Fehlen durchaus – warum sollten sie in ihren Herkunftsländern für die Umsetzung der Aichi-Ziele werben, wenn diese Ziele in Deutschland ignoriert werden?

Insgesamt wurden in dieser Diskussion mehrere Möglichkeiten aufgezeigt, wie die Erkenntnisse der IPBES-Berichte auch in Deutschland aufgenommen und die Vorschläge zu Handlungsoptionen umgesetzt werden können. Es wurde betont wie wichtig es ist biologische Vielfalt in allen relevanten Politikbereichen (Sektoren wie Agrar, Verkehr, Energie, etc.) einzubeziehen (Mainstreaming). Sehr wichtig ist auch die Übersetzung der Ergebnisse in alltagsnahe Beispiele, die auch Bürger und Bürgerinnen ansprechen die sich nicht regelmäßig mit dem Thema Biodiversität beschäftigen, und so die Eigenverantwortung im Komsumverhalten als Chance für individuelle und aktive Unterstützung aufzuzeigen.

In den nächsten Monaten werden die Ziele für die Biodiversitäts-Vision 2050 der Konvention für Biologische Vielfalt (CBD) verhandelt, und im nächsten Frühjahr wird der IPBES-Bericht zum Globalen Assessment erscheinen. Hier ist es wichtig, dass Politik, Gesellschaft und Wissenschaft zusammen arbeiten, um unseren Kindern eine lebenswerte und enkelgerechte Welt zu überlassen.