Der Arbeitskreis Waldökologie der GfÖ wurde 2012 in Lüneburg als neuer Arbeitskreis der GfÖ bestätigt. Wir beschäftigen uns mit allen Aspekten waldökologischer Forschung, d. h. mit den Interaktionen der in Wäldern vorkommenden Organismen untereinander und deren Wechselwirkungen mit der abiotischen Umwelt. Dies schließt sowohl bewirtschaftete, als auch aus der Nutzung genommene und von menschlichen Einflüssen weitgehend unberührte Wälder aller Klimazonen ein. Eine besondere Rolle spielen natürliche und anthropogene Störungen als Treiber der Dynamik von Waldökosystemen. Ein wesentliches Ziel des AK besteht darin, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die sich mit den unterschiedlichsten Facetten waldökologischer Forschung beschäftigen, ein Forum zum gegenseitigen Austausch zu bieten. Vor diesem Hintergrund befassen sich die im AK geführten Diskussion mit methodischen Fragen, mit Grundlagen zur Funktionalität von Waldökosystemen sowie der Anpassung von Wäldern an den Klimawandel, bis hin zu Fragen einer nachhaltigen Bewirtschaftung von Wäldern unter Beachtung multipler und je nach Waldeigentümer variabler Ziele.
Der AK organisiert seit seiner Gründung auf den Tagungen der Gesellschaft für Ökologie eine der Waldökologie gewidmete Session und veranstaltet darüber hinaus Anfang April ein Treffen der Mitglieder des Arbeitskreises an wechselnden Orten.
Zahlreiche tote Bäume und Freiflächen, wo noch vor kurzem geschlossener Wald stand - die Auswirkungen der Trockenheit auf unsere Wälder sind nicht mehr zu übersehen. Angesichts dieser Bilder entsteht bei vielen der Eindruck einer Katastrophe, der man intensiv entgegenwirken müsse. Entsprechend hat sich der Waldgipfel am 25. September 2019 in Berlin vor allem mit den technischen Maßnahmen der Wiederbewaldung befasst. Auch wenn die gegenwärtige Situation eine große Herausforderung für unseren Umgang mit dem Wald ist und bei vielen Waldbesitzenden zu erheblichen wirtschaftlichen Belastungen führt - sie bietet auch Chancen für die biologische Vielfalt und für die naturnahe Gestaltung und bessere Anpassung unserer Wälder an den Klimawandel. Das zeigen die Erkenntnisse der waldökologischen Forschung, die u. a. auf der diesjährigen Tagung der Gesellschaft für Ökologie (GfÖ) in Münster präsentiert wurden.
Großflächig absterbende Fichtenreinbestände nach lang anhaltenden Trockenperioden (© Alexandra Wehnert, 2018)
Störungen durch Stürme, Trockenheit, Waldbrände oder Insektenbefall sind zuerst einmal natürliche Phänomene. Je nach Art und Intensität der Störung entstehen kleinere Öffnungen im Kronendach oder auch totholzreiche Freiflächen, die andere Lebensbedingungen für Tiere, Pflanzen und Pilze bieten als der geschlossene Wald. Auf den größeren Störungsflächen ist es warm und sonnig. Nährstoffe werden freigesetzt und totes Holz bietet Schutz, Nahrung und Lebensraum. Viele gefährdete Tier- und Pflanzenarten profitieren auf großen Störungsflächen von Bereichen, die nicht vollständig beräumt werden. Das Belassen absterbender und abgestorbener Waldbestände bietet daher die Gelegenheit, der biologischen Vielfalt mehr Raum zu geben.
Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass belassene Störungsflächen sich früher oder später auch ohne Zutun des Menschen wieder zu Wald entwickeln. Wie schnell und in welche Richtung sich der Wald entwickelt, d.h. mit welchen Baumarten und mit welcher Struktur, hängt allerdings davon ab, wie der Boden beschaffen ist, welche Witterung herrscht und welche Baumarten sich aus der Umgebung ansamen können. Entscheidend ist auch, ob bereits junge Bäume vorhanden sind. Aus der Forschung auf Windwurfflächen ist bekannt, dass bei einer Räumung des toten Holzes häufig die bereits vorhandenen Jungpflanzen beschädigt oder zerstört werden. Liegendes Totholz kann hingegen die vorhandenen Jungpflanzen vor Wetterextremen schützen. Das Belassen der überlebenden Altbaumreste übt ebenfalls eine Schutzwirkung aus und erhält wichtige Samenquellen für die natürliche Wiederbewaldung. Auch stehende tote Bäume sollten wegen ihrer Bedeutung für viele Tierarten möglichst auf den Flächen verbleiben, wenn sie nicht mehr als Brutmaterial für Borkenkäfer geeignet sind. Das Aufwachsen von Jungpflanzen vieler Mischbaumarten kann durch den Verbiss von Rot- und Rehwild stark eingeschränkt oder gar verhindert werden. Für die Förderung einer artenreichen nächsten Baumgeneration ist daher ein entsprechendes Management der Wildbestände entscheidend. Gute Chancen für eine natürliche Wiederbewaldung mit lokal angepassten Baumarten bieten sich beispielsweise auf Störungsflächen, die bereits eine ausreichende Baumartenmischung aufweisen.
Störungsfläche mit Naturverjüngung der Fichte und belassenem Totholz nach Borkenkäferbefall und Sturmereignissen im Harzer Naturwald Bruchberg (© Peter Meyer, 2007)
Das natürliche Entwicklungspotenzial einer Störungsfläche kann nur richtig eingeschätzt werden, wenn die vielfältigen Ausgangsbedingungen vor Ort und die klimatischen Veränderungen über die Zeit in Betracht gezogen werden. Handelt es sich beispielsweise um große Störungsflächen in naturfernen Fichtenwäldern, wird eine natürliche Entwicklung aufgrund der bereits vorhandenen jungen Fichten und der Ansamungen aus der Umgebung wahrscheinlich wieder zu einem fichtendominierten Wald führen. Nach heutigem Kenntnisstand bergen großflächig fichtendominierte Wälder Risiken, die sich durch extreme klimatische Veränderungen erklären. Diese Risiken führen zu wirtschaftlichen Einbußen und gehen mit verminderten Leistungen für den Naturschutz einher. Auf manchen Störungsflächen können Brombeeren und Gräser eine Ansiedlung von Baumarten erheblich erschweren. Folglich stehen Waldbesitzende und Forstbetriebe vor komplexen Entscheidungen, die stark von den örtlichen Gegebenheiten und ihren jeweiligen Zielsetzungen abhängen: Können sie auf eine natürliche Wiederbewaldung mit Mischbaumarten setzen oder führt zögerliches Handeln zur Dominanz von Fichten oder Gräsern? Sollen sie den abgestorbenen Waldbestand räumen und die Fläche bepflanzen? Welche Wirkungen und Leistungen erbringt eine Waldfläche nach vorübergehendem Verlust der Baumschicht? Welche Baumarten, Baumartenherkünfte oder Baumartenmischungen kommen für Saaten und Pflanzungen auf Störungsflächen unterschiedlicher Größe in Frage?
Frisch beräumte Störungsfläche in Mittelfranken mit einzelnen Eichen und nahezu ohne Totholzstrukturen (© Christian Ammer, 2006)
Die zukünftige Reaktions- und Widerstandsfähigkeit des Waldes hängt stark von der Intensität und Häufigkeit klimatischer Extreme ab und ob die nachwachsenden Bäume diesen standhalten können, bzw. an diese angepasst sind. Waldbäume sind langlebige Organismen, die sich mit Hilfe einer regelmäßigen Samenproduktion über die natürliche Auslese an ihren Standort bzw. Umweltveränderungen anpassen. Diese Anpassungsfähigkeit ist jedoch begrenzt. Ferner benötigen Anpassungen meist längere Zeiträume. Die Förderung natürlicher Verjüngungspotenziale von Mischbaumarten ist deshalb besonders wichtig für eine naturnahe Wiederbewaldung. Auch bei der Wahl des Saat- und Pflanzenmaterials ist die genetische Vielfalt innerhalb einer Herkunft von großer Bedeutung. Es ist jedoch noch nicht abschließend geklärt, ob es vorteilhafter für die Klimaanpassung ist, regionales Saatgut oder Pflanzenmaterial heimischer Arten aus zumeist südlicheren Gegenden zu verwenden, deren bisheriges Klima unserem zukünftigen Klima ähnelt. Da weder eine ausschließlich aktive Wiederbewaldung durch den Menschen noch ein Laufen-Lassen der natürlichen Entwicklung allen Ansprüchen an den Wald gerecht werden, spricht viel dafür, verschiedene Varianten umzusetzen und damit ein Nebeneinander verschiedener Waldstrukturen zu ermöglichen.
In keinem Wald kann man alle gesellschaftlich geforderten Ökosystemleistungen gleichzeitig maximieren. Das hat die Forschung der letzten Jahre verdeutlicht. Damit Trinkwasserschutz, Erholung, Holzproduktion, Schutz der Biodiversität und Kohlenstoffspeicherung auch zukünftig gewährleistet werden, müssen Waldbesitzende und Forstbetriebe schon heute weitreichende Entscheidungen für die Zukunft treffen – auch wenn bisher viele Fragen unbeantwortet bleiben. Da nicht abschließend eingeschätzt werden kann, wie stark sich die Klimaveränderungen regional und lokal auswirken, sind Empfehlungen zur Baumartenwahl unsicher. Besonders auf Flächen mit besonderer Bedeutung für den Wasser- und Bodenschutz ist eine schnelle Wiederbewaldung wichtig, um eine Entkoppelung der Stoffkreisläufe zu verhindern. Diese Flächen sollten in jedem Fall mit nach heutigem Wissen standortgerechten Baumarten besät oder bepflanzt werden. Das Belassen von Totholz erweist sich in diesem Zusammenhang nicht nur als vorteilhaft für den Wasserhaushalt und die Bereitstellung von Habitaten, sondern auch für die mittelfristige Kohlenstoffspeicherung und den Erosionsschutz. Für jene Wälder, die vorrangig der Holzproduktion dienen, ist einzuschätzen, ob eine natürliche Wiederbewaldung zu einer standortangepassten Artenzusammensetzung führt, oder ob Saaten oder Pflanzungen eine bessere Anpassung versprechen. Überall dort, wo viele Menschen Erholung und Inspiration im Wald suchen, könnten das Belassen von Totholz oder die natürliche Wiederbewaldung ein höheres Gewicht erhalten.
Erfolgreich etablierte Baumartenmischung nach Kyrill 2007 durch die kleinflächige Kombination aus natürlichen und künstlichen Verjüngungsverfahren in den Kammlagen des Thüringer Waldes (© Alexandra Wehnert, 2018)
Mit dem Klimawandel wird die Sommertrockenheit und -hitze in vielen Gegenden Deutschlands weiter zunehmen. Nur durch eine langfristige wissenschaftliche Dokumentation der Veränderungen und komplexen Prozesse in unseren Wäldern lässt sich die Eignung von Baumarten und Behandlungsmethoden herausarbeiten. Hierzu ist eine stärkere Vernetzung großräumig vorhandener Daten (Bundeswaldinventuren, spezifische Artenerfassungsprogramme, u.a.) notwendig. Bisherige Monitoringsysteme sollten besser an den Untersuchungsschwerpunkt Klimawandel angepasst werden. Dafür muss die langfristig orientierte Forschung auf Störungsflächen sowohl in bewirtschafteten als auch in unbewirtschafteten Wäldern intensiviert werden. Die Dokumentation von Prozessen und die Erfassung der Resilienz von Baumarten gegenüber Stress bilden wichtige Eckpunkte dieser Forschung. Nur so lässt sich die Komplexität der Waldökosysteme im Klimawandel verstehen und ihre Entwicklung über den Einsatz von Modellen besser vorhersagen. Damit die Ergebnisse Anwendung finden, ist es zudem erforderlich, Forschung und Praxis enger zu verzahnen. Erfolgversprechend sind hier adaptive Managementsysteme, mit denen die Waldbehandlung zeitnah auf Grundlage der Ergebnisse von Monitoring und Forschung neu justiert wird. Um die Erkenntnisse der ökologischen Forschung erfolgreich in die forstliche Praxis zu überführen, ist ein intensiver Dialog von Politik, Ökonomie und Wissenschaft notwendig. Finanzielle Anreize für Waldbesitzende sollten eine Optionenvielfalt hinsichtlich der Waldbehandlungsstrategien zulassen. Damit könnten Verfahren der natürlichen Wiederbewaldung mit eventuell längeren Zeiträumen ebenso unterstützt werden wie Verfahren des aktiven Waldumbaus. Beide Ansätze sind für die Gewährleistung besonderer Ökosystemleistungen notwendig.